Created by Eva Bens
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Die ungleichheitsorientierte Sozialisationsforschung
Eine Definition für Sozialisation nach Hurrelmann und Geulen, 1980
Die doppelte Bedeutung von Sozialisation
Persönlichkeitsentwicklung/Individuation:
- von Persönlichkeitsmerkmalen, Fähigkeiten und Kompetenzen, um eigenständig und autonom handeln zu können
Differenzen:
- Unterschiede ohne direkte Folgen
- horizontale Unterschiede
Strukturierte Soziale Ungleichheit
Die Analyse von Ungleichheiten ist auf zwei Ebenen dynamisch:
2. Wandel in der wissenschaftlichen Analyse sozialer Ungleichheiten:
- Sozialstrukturanalyse und Ungleichheitsforschung verändern ihre Wahrnehmung sozialer Ungleichheiten
Forschung zu sozialer Ungleichheit in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg:
These der nivellierten (kleinbürgerlichen) Mittelstandsgesellschaft:
Boom der schichtspezifischen Sozialisationsforschung (schichtspezifische Forschung 1950er-70er:
Zentraler Zugang:
Erkenntnisinteressen schichtspezifischer Sozialisationsforschung:
1964 beschrieb der Lehrer Georg Picht in einer Artikelserie die Gefahr einer Katastrophe im deutschen Bildungswesen:
- zu niedrige Bildungsausgaben
- durch soziale Selektivität zu wenig Leistungsfähigkeit und Gerechtigkeit
- Bildungskatastrophe
- Demokratisierung, Emanzipation, Chancengleichheit als Ziele einer liberalen, progressiven Bürgerrechtsbewegung
- „Sputnik-Schock“: Die Konkurrenz politischer Systeme forciert politischen Zugriff auf technischen Wandel
- gestiegener Qualifikationsbedarf (neue Technologien/Dienstleistungen)
- ein neuer Rekrutierungsmodus der wirtschaftlichen Eliten
Dem schulischen Reproduktionsmodus sozialer Ungleichheit korrespondiert die "Illusion der Chancengleichheit":
Sprachanalytische Untersuchungen Basil Bernsteins:
Restringierter Code:
„Sie spielen Fußball und er schießt ihn und er fliegt rein, dort zertrümmert er die Scheibe und sie schauen zu und er kommt raus und schimpft mit ihnen, weil sie sie zerbrochen haben, deshalb rennen sie weg und dann sieht sie raus und sie schnauzt sie an.“
Allgemeine Bestimmung der Codes:
Restringierter Code:
- Grammatisch wenig komplex, wenige Adjektive; viele Pronomina
- syntaktisch vorhersagbar, wenig Varianz
- Kontextgebunden: Vorwissen voraussetzend
- Bedeutungs-Variation durch Körpersprache, Tonfall, etc.
Erziehungsstile - Annette Lareau:
Arbeiter-/Unterschicht:
Accomplishment of Natural Growth:
- Orientierung an/Sinn für Beschränkungen
- Versorgen und Aufwachsen-Lassen
- Beziehungen zur (erweiterten) Familie
-Elterliche Direktiven ↔ Akzeptanz der Kinder
- Abhängigkeit/Ohnmacht/Frustration
- Konflikt zw. Familialer und schulischer Erziehungspraxis
→ Nicht-Passung/Selbst-/Fremdeliminierung
Der schulische Reproduktionsmodus sozialer Ungleichheit:
Zwei Mechanismen der Ungleichheitsreproduktion:
Das "Passungs-Konzept" - die deutsche Diskussion:
Das Zirkelmodell macht deutlich:
- die Penetranz sozialer Ungleichheiten
- Mechanismen der Ungleichheits-Reproduktion
- Ansatzpunkte zur Herbeiführung einer Nivellierung der Ungleichheiten
Passives Subjektmodell:
Fazit "Schichtspezifischer Sozialisationsforschung":
Das "Passungs-Konzept" in der Diskussion um Schulerfolg und Schulversagen
(Klaus Hurrelmann):
Schulischer Reproduktionsmodus sozialer Ungleichheit:
- Ggf. Schulversagen aufgrund unzureichender „Passung“ zwischen individuellen Lernvoraussetzungen und schulischen Lernanforderungen
- das individuelle Fähigkeits- und Kompetenzprofil steht in einem homologen oder disparaten Verhältnis schulischen Leistungserwartungen gegenüber
2. zu wenige Sozialisationsumwelten/Entwicklungseinflüsse einbezogen
→ Einflüsse der sozialen Schicht, von Subkulturen oder Erziehungsstilen werden durch zusätzliche sozialökologische Parameter gebrochen, bspw. Jugendlicher Bezugsgruppen (peers), der Familien- und Geschwisterkonstellation sowie der Schul-, Nachbarschafts- und Wohnumwelt
→ die schichtspezifische Sozialisationsforschung hat nach dieser Einschätzung in ihrer Fixiertheit auf zu wenige unabhängige Variablen möglicher Sozialisationseinflüsse nur einen geringen Beitrag zur Varianzaufklärung der Differenziertheit in der Persönlichkeitsentwicklung – als abhängiger Variable – erbracht
Kritisiert wird eine Reduktion...
- von Sozialisation auf die „Zielgerichtetheit“ der Erhaltung sozialer Systeme
- z.B. die „funktionalistische Rollentheorie“ (T. Parsons)
Zusätzliche sozialökologische Parameter: Die Ökologische Entwicklungstheorie von Urie Bronfenbrenner:
Bronfenbrenners Modell der schrittweisen Erschließung von Lebensräumen füllt Desiderata der schichtspezifischen Forschung:
"Integrationstheorem" und "Konformitätstheorem":
„Affirmativen“ Sozialisationsmodellen wird vorgehalten, diese Optionen auszuschließen, da sie allein Integration und Konformität als Ziel und Ergebnis gelingender Sozialisation zulassen.
→ z.B. die funktionale Rollentheorie
Die kritische Rollentheorie:
Voraussetzungen erfolgreichen Rollenhandelns nach der funktionalistischen Rollentheorie:
Aspekte der Kritik an der funktionalistischen Rollentheorie:
→ Unterschlagung ungleicher Profite aus Rollenübernahmen
→ Rollenlernen gilt ein ahistorisches Konzept
Die Weiterentwicklung der Individuationsperspektive (1980er):
- der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung ist untrennbar an die Bedingung aktiver, in ihrer Entwicklung auf Umwelt- und Umfeldbedingungen zurückwirkender Sozialisanden gebunden
→ gegenüber der „Ableitung“ der heranwachsenden Persönlichkeit aus äußeren Bedingungen stellt daher die „Subjektwerdung“ als ein „spezifisch psychischer Prozess“ (Hurrelmann/Ulich 1980) den neuen Bezugspunkt der Sozialisationsforschung dar
Als Folge dieser Tätigkeit verändert sich zunächst die reale Situation des Subjekts, wobei anzunehmen ist, dass die sich real herstellende neue Situation nicht vollständig und genau der antizipierten Situation entspricht.
- Individualentwicklung bezeichnet aus dieser Perspektive mehr als nur das Erfüllen einer Summe der an die/den Heranwachsende(n) gestellten (Rollen-)Erwartungen
Zentral für die neuen Theorien der Sozialisation:
2. Diese „Tradition“ ist nicht nur historisch von den Arbeiten zur Vergesellschaftungsfunktion getrennt, sondern auch disziplinär: Individuation bezeichnet das Erkenntnisinteresse der originär psychologisch orientierten Forschung.
Aktivität des Subjekts als Motor von Entwicklung:
...als Folge dieser Tätigkeit verändert sich zunächst die reale Situation des Subjekts, wobei anzunehmen ist, dass die sich real herstellende neue Situation nicht vollständig und genau der antizipierten Situation entspricht...
...als Folge der Tätigkeit verändert sich außerdem das Subjekt selber, dies ist seine Sozialisation.“
(Geulen 1981)
Anker der theoretischen Neuorientierung - der Klassikeransatz G.H. Meads:
„Unser Behaviorismus ist ein sozialer Behaviorismus.“
Meads Sozial-Behaviorismus:
Symbolischer Interaktionismus:
Die Bedeutung der Sprache für die Entwicklung des Selbst:
Rollenübernahme und Interaktion:
PLAY/Spielen:
„Die Person handelt in der Phantasie, und indem sie sich durch die Standpunkte anderer, signifikanter Personen ins Bewusstsein ruft, erwägt sie die von ihr selbst geplante Handlungsweise“
(Anselm Strauß 1969)
GAME:
- Erlernen der Bedeutung „organisierter Rollen“
- Routinisierung komplexer Regelübernahmen
Die Bedeutung der Sprache für die Entwicklung des Selbst:
Kritik des "Theoriedefizits" - fehlende Theorie des Subjekts:
Die Weiterentwicklung der Individuationsperspektive (1980er):
Neue Theorien der Sozialisation II: Das Modell des produktiv realitätsverarbeitenden Subjekts (1980er-1990er Jahre):
1. Sozialisation vollzieht sich im Wechsespiel von Anlage und Umwelt.
2. Sozialisation ist ein Prozess der Persönlichkeitsentwicklung in wechselseitiger Abhängigkeit von körperlichen und psychischen Grundstrukturen (→ innere Realität) und den sozialen und physikalischen Umweltbedingungen (→ äußere Realität).
3. Sozialisation ist der Prozess der dynamischen und produktiven Verarbeitung der inneren und äußeren Realität.
Die Bedeutung der Persönlichkeit für das neue Verständnis von Sozialisation:
Produktive Realitätsverarbeitung beschreibt die Fähigkeit, sich selbst-reflexiv Realität anzueignen
Zentralbegriff der Kompetenzen zur Realitätsverarbeitung
5. Außer den Sozialisationsinstanzen beeinflussen auch Arbeit, Freizeit, Unterhaltung und soziale Kontrolle betreffende soziale Organisationen und Systeme die Persönlichkeitsentwicklung.
6. Die Persönlichkeitsentwicklung besteht lebenslang aus einer nach Lebensphasen spezifischen Bewältigung von Entwicklungsaufgaben.
Leerstellen der Sozialisationsforschung? (2000er Jahre):
- das Modell des produktiv realitätsverarbeitenden Subjekts sowie das Modell der Person-Umwelt-Interaktion stehen stellvertretend für ein Sozialisationsverständnis, das auf die Analyse potenziell offener, dynamischer Sozialisationsverläufe (im Sinne der Individuation) und nicht lediglich auf die statische, zirkuläre Reproduktion der Herkunftsbedingungen abhebt (im Sinne von Vergesellschaftungseffekten)