Ethnomethodologie - über Methoden
des Handelns im Alltag
5.1 Ethnomethodologie - eine erste Definition
Von Harold Garfinkel (*1917) entwickelt → verbindet phänomenologische Soziologie mit
amerikanischem Pragmatismus und Symbolischem Interaktionismus
Frage: Wie funktioniert das Handeln im Alltag?
Nicht wichtig, warum die Menschen eine bestimmte Handlung durchführen, sondern wie sie sie
durchführen
Welches Wissen gibt es in einem bestimmten Stamm (ethnos), mit dem die Mitglieder über die
Natur verfügen und sich die Welt klar machen
In jedem sozialen Gebilde (ethnos) gibt es typische Methoden, um gemeinsame Wirklichkeit zu
konstruieren
5.2 Die gemeinsame Sprache und die Unterstellung von Rationalität
Teilnehmer einer Interaktion verstehen normalerweise ihr Handeln → beherrschen Sprache
Wichtige Vorannahme: was wir uns aufzeigen, ist vernünftig
Bsp.: können nicht kommunizieren, wenn jemand vorher sagt, dass er gleich lügt
Annahme: Wir verstehen uns gar nicht ganz, sondern nehmen nur an, dass wir uns verstehen
5.3 Gründe, weshalb wir im Alltag glauben, uns zu verstehen
Menschen nehmen im Alltag an, die subjektive Welt Anderer zu kennen/erkennen und gleichzeitig,
dass die anderen das gleichtun
Sinnhafte Konstruktion einer sozialen Wirklichkeit → 4 Erklärungen
ergeben in Gesamtheit eine einheitliche Erklärung
5.3.1 Die Typenhaftigkeit
der Lebenswelt
Wir sind in der Lage aus einem kleinen Anzeichen, eine ganze Situation zu konstruieren
Wir bestätigen durch unser Handeln die gemeinsame Welt voreinander und
füreinander → eine Seite, wie sich soziale Wirklichkeit konstruiert
Andere Seite: individuelle Konstruktion → wie bringt Mensch seine Welt in
Ordnung (reduziert Fülle des Alltags auf Muster der Normalität)
Sichtbarer Ausdruck der Normalitätskonstruktion: Wiederholung erprobter und
bekannter Handlungsmuster in Interaktionen, bis zu Handlungsritualen
Erfahrungen von früher durchgeführten Handlungen gehen in unser
Handeln ein → Neues wird mit Altem verglichen und eingeordnet
5.3.2 Idealisierung der Kontinuität und
Wiederholbarkeit
Aus Typisierung des Alltags ergeben sich zwei konstitutive Erwartungen/Idealisierungen
1. Idealisierung: „und so weiter“ → solange es keine Überraschungen gibt, vertrauen wir darauf, dass
alles so weitergeht. Situation, wie ich sie jetzt erlebe, geht in typischer Weise weiter (Kontinuität)
2. Idealisierung: „ich kann immer wieder“ → ich kann meine früher erfolgreichen Handlungen
wiederholen, solange Weltstruktur als konstant hingenommen wird (Wiederholbarkeit)
5.3.3 Die Generalthese der
wechselseitigen Perspektiven
Schütz unterscheidet zwei Idealisierungen, die unser Handeln
in der natürlichen Einstellung des Alltags bestimmen
1. Idealisierung: „Vertauschbarkeit der Standpunkte“ → Anderer würde
die Dinge von meinem Standpunkt aus gleich sehen und umgekehrt
2. Idealisierung: „Kongruenz der Relevanzsysteme“ → wir handeln und verständigen
uns so, als ob wir die Dinge nach den gleichen Kriterien beurteilen
5.3.4 Dinge, die jeder weiß
Wir setzen selbstverständlich voraus, dass es Dinge gibt,
„die jeder weiß“ → „common-sense knowledge“
Auf gemeinsames Wissen wird im Alltagshandeln methodisch zurückgegriffen
→ zeigen uns und anderen eine „objektive“ Welt auf
5.4 Der zweifelsfreie
Alltag
Die natürliche Einstellung im Alltag ist frei von Zweifeln → Alltag ist
so wie er ist, man nimmt an, dass die anderen das gleich sehen
Wir gehen davon aus, dass jeder kompetent in seinem
Handeln ist → wechselseitige Unterstellung von Kompetenz
Sich selbst erhaltendes Alltagsdenken → gemeinsames Handeln ist frei von Überraschungen, da wir
annehmen, dass jeder die Basisregeln anwendet, nach denen Wirklichkeit interpretiert wird
„ongoing accomplishment“ → soziale Wirklichkeit durch Handeln
der Mitglieder einer Gesellschaft fortlaufend produziert
5.5 Der Entwurf praktischer Theorie im Alltag
Menschen nutzen in ihrem Alltag Methoden, um soziale Wirklichkeit zu
konstruieren → Methoden sind auf Praxis des Alltags gerichtet
Implizite Regeln → Annahme von Individuen, dass sie einander verstehen
Jedes Handeln ist Selektion von vielen Handlungsmöglichkeiten
→ Handelnder muss ständig entscheiden wie es weitergeht
Frage muss in vertretbarer Zeit entschieden werden
„the practical question par excellence: What to do next?“
Praktische Aktivitäten → konstruieren wechselseitig füreinander eine gemeinsame Wirklichkeit
5.5.1 Die dokumentarische Methode der Interpretation
Methode besteht aus rückschauend-vorausschauenden
Auslegung von gegenwärtigen Vorkommnissen
Rückschau → Blick auf ähnliche Erwartungen,
haben sich zu Schema von Erwartungen verdichtet
Vorausschau → Erwartung einer Handlung, die angesichts der
vorliegenden Bedinungen logischerweise eintreten wird
„common sense“ → Alltagswissen (im Sinne von Schütz),
Betriebswissen, das für die Bewältigung von Angelegenheiten in der
Alltagswelt erforderlich ist, die sich ständig wiederholen