5. Klinische Psychologie: Klassifikationssysteme psychischer Störungen

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ICD-10 (WHO-Klassifikation) ICD-10 (WHO-Klassifikation): 1. WHO koordiniert seit 40er Jahren Nomenklatur und diagnostische Klassifikation aller Erkrankungen (International Classification of Diseases Revisionen ICD-1 bis 10) 2. ein Kapitel ist psychischen Störungen (früher psychiatrische Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten) gewidmet 3. Jede als klinisch bedeutsame Krankheit und Störung wird mit Zahlencode versehen (F für jede psychische Störung + Nummer) 4. Aktualisierung: alle 10-15 Jahre in langjährigem Expertenkonsensus-Prozess in dem alle Länder mitwirken und sich einverstanden erklären müssen => ICD ändert sich permanent in Abhängigkeit von wissenschaftlichem Erkenntnisprozess und internationalem Expertenkonsensus
Internationale Klassifikation der Krankheiten in ihrer 10. Revision (ICD-10) Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) in ihrer 10. Revision: 1. für alle Gesundheitssysteme der Welt (inklusive Psychologische Psychotherapeuten) ist prinzipiell ICD mit ihren Kodierungen für alle Erkrankungen zu Dokumentationszwecken verbindlich 2. Deutschland: modifiziertes Diagnosesystem ist Abbrechnungsgrundlage von Gesundheitsleistungen im ambulanten und stationären Sektor (ICD-10-GM 2005) 3. ICD-9 bis 1992 gültig: noch stark der traditionellen psychiatrischen Klassifikation verpflichtet 4. erst in ICD-10 wurde im Kapitel "Psychische und Verhaltensstörungen" auch weitgehend der DSM-III-Ansatz aufgenommen => heute entspricht ICD-10 weitgehend in Prinzipien, Aufbau und Diagnose dem DSM-IV und ist mit ihm kompatibel 5. Einschränkungen: durch Beschränkungen in Kodierung der Diagnose der Strörungsgruppen ICD-10 zum Teil unterschiedlich zusammengefasst einzelne Diagnosen in ICD-10 nicht gleichermaßen trennscharf und operationalisiert
F00-F09 Organische, inklusive symptomatischer Störungen
F10-19 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
F20-29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
F30-39 Affektive Störungen
F40-49 Phobische Störungen (?) bzw. Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F50-59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
F60-69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
F70-79 Intelligenzminderung
F80-89 Entwicklungsstörungen
F90-98 Verhaltens- und emotionale Störungen in der Kindheit und Jugend
F99 Nicht näher bezeichnete psychische Störungen
Organische, inklusive symptomatischer psychischer Störungen F00-09 1. Demenzen 2. organisch amnestisches Syndrom 3. Delir 4. Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Krankheit/Funktionsstörung/Schädigung des Gehirns
Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F10-19 1. Akute Intoxikation 2. schädlicher Gebrauch z.B. amnestisches Syndrom, Korsakoff-Syndrom
Schizophrenie, schizotype- und wahnhafte Störungen F20-29 1. Schizophrenie 2. Schizotype Störung 3. akute vorübergehende psychotische Störungen 4. schizoaffektive Störungen
Affektive Störungen F30-39 1. Manische Episode 2. Hypomanie 3. Bipolare affektive Störung 4. Depressive Episode 5. Rezidivierende depressive Störung
Phobische Störungen bzw. Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F40-49 1. Agoraphobie 2. soziale Phobien 3. spezifische Phobien 4. Panikstörung 5. generalisierte Angststörung 6. Zwangsstörung 7. posttraumatische Belastungsstörung 8. dissoziative Störungen 9. somatoforme Störungen
Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren F50-59 1. Essstörungen (Anorexia nervose, Bulimia nervose, psychogene Essattacken) 2. Schlafstörungen 3. sexuelle Funktionsstörungen
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen F60-69 1. Persönlichkeitsstörungen 2. Störungen der Impulskontrolle (pathologisches Spielen, Pyromanie) 3. Störungen der Geschlechtsidentität 4. Störungen der Sexualpräferenz
Intelligenzminderung F70-79 1. leichte Intelligenzminderung 2. mittelgradige Intelligenzminderung 3. schwere Intelligenzminderung 4. schwerste Intelligenzminderung
Entwicklungsstörungen F80-89 1. Sprechen/Sprache 2. schulische Fertigkeiten (Lese-Rechtschreib-Schwäche), tiefgreifende Entwicklungsstörungen (Autismus, Asperger-Syndrom)
Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend F90-F98 1. Hyperkinetische Störungen 2. Störungen des Sozialverhaltens 3. emotionale Störungen des Kindesalters 4. Ticstörungen 5. Enuresis etc.
Nicht näher bezeichnete psychische Störungen F99 Psychische Störungen ohne nähere Angabe
Klassifikationsebene: Einstellig (ICD-10) F Bedeutung: Hinweis auf psychische Störungen
Klassifikationsebene: Zweistellig, Hauptkategorie (ICD-10) Fa Bedeutung: Umfasst verschiedene als zusammengehörig betrachtete Störungen Beispiel: F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
Klassifikationsebene: Dreistellig, Kategorie (ICD-10) Fab Bedeutung: einzelne Störungseinheit Beispiel: F40.- Phobische Störungen F14.- Psychische und Verhaltensstörungen durch Kokain
Klassifikationsebene: Vierstellig, Subkategorie (ICD-10) Fab.c Bedeutung: Spezifikation unter anderem aufgrund inhaltlicher Gestaltung (bspw. Art der Phobie) oder Schweregrad Beispiele: F40.0 Agoraphobie F32.0 leichte depressive Episode F14.2 Abhängigkeitssyndrom von Kokain
Klassifikationsebene: Fünfstellig, Zusatzspezifikation (ICD-10) Fab.cd Bedeutung: Spezifikation unter anderem aufgrund von Verlauf, somatischer Syndromatik, inhaltlicher Gestaltung Beispiele: F40.0 Agoraphobie ohne Panikstörung F40.1 Agoraphobie mit Panikstörung F14.24 Abhängigkeitssyndrom von Kokain bei gegenwärtigem Substanzgebrauch
Klassifikationsebene: Sechsstellig, Zusatzspezifikation (ICD-10) Fab.cde Bedeutung: Wird nur bei einigen Störungsgruppen (bspw. Abhängigkeitssyndrom, bipolar affektive Störungen) zur Zusatzspezifizierung verwendet Beispiele: F14.241 Abhängigkeitssyndrom von Kokain, bei gegenwärtigem Substanzgebrauch, mit körperlichen Symptomen
Achse I (ICD-10) Psychische Störungen und körperliche Erkrankungen
Achse II (ICD-10) Beurteilung der sozialen Funktionseinschränkung (WHO-Disablement Scale)
Achse III (ICD-10) Psychosoziale Belastungsfaktoren
DSM-IV: explizit und operationalisiert beschrieben werden ... Alle Diagnosen mit a) ihren obligatorischen Merkmalen b) ihren optionalen Merkmalen
DSM-IV: Merkmalskategorien für die systematische Beschreibung Merkmalskategorien für die systematische Beschreibung: 1. Haupt- und Nebenmerkmale 2. Alter bei Beginn 3. Verlauf 4. Behinderungen 5. Prädisponierende Faktoren 6. Prävalenz 7. Geschlechtsverteilung 8. Familiäre Häufung 9. Differentialdiagnose
Zielsetzungen des deskriptiven DSM-III-IV-TR-Systems Zielsetzungen des deskriptiven DSM-III-IV-TR-Systems: 1. für alle Gesundheitsberufe anwendbar 2. für alle "Schulen" verbindlich 3. eindeutige Nomenklatur 4. Realiabilität (Beurteilungskonsistenz) als Voraussetzung für verbesserte Forschung und klinische Validität 5. Explizite deskriptive Kriterien 6. Mehrebenenansatz auf der Symptomebene und Anlehnung von Terminologien mit Interpretationsspielraum 7. Neutralität in Hinblick auf ätiologische Theorien 8. Standardisierung (algorithmische Operationalisierung) diagnostischer Entscheidungen 9. Verbesserung der Kommunikation zwischen Forschung und Praxis 10. Multitaxiale Struktur
DSM-IV: Hauptpunkte der systematischen Beschreibung Hauptpunkte der systematischen Beschreibung: 1. Hauptmerkmale 2. Nebenmerkmale 3. Alter bei Beginn 4. Verlauf 5. Behinderungen 6. Prädisponierende Faktoren 7. Prävalenz 8. Geschlechtsverteilung 9. Familiäre Häufung 10. Differenzialdiagnose
F0 (DSM-IV-TR) F00-09 Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen
F1 (DSM-IV-TR) F10-19 Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen
F2 (DSM-IV-TR) F20-29 Schizophrenie und andere psychotische Störungen
F3 (DSM-IV-TR) F30-39 affektive Störungen (wie ICD-10)
F4 (DSM-IV-TR) F40-49 Angststörungen, Somatoforme Störungen, Dissoziative Störungen, Anpassungstörungen
F5 (DSM-IV-TR) F50-59 Essstörunge, Schlafstörungen, Sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörungen (auch F6)
F6 (DSM-IV-TR) F60-69 Persönlichkeitsstörungen, vorgetäuschte Störungen, Störungen der Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert
F7, F8, F9 (DSM-IV-TR) F70-98 Störungen, die gewöhnlich zuerst im Kleinkindalter, in der Kindheit oder der Adoleszenz diagnostiziert werden
(Platzhalter kein F10) (DSM-IV-TR) Psychische Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfalles
(Platzhalter kein F11) (DSM-IV-TR) Andere klinisch relevante Probleme (auch F5)
DSM: etabliert durch ... 1980 durch APA (American Psychiatric Association): "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM-III) als völlig neuartiges diagnostisches Klassifikationssystem
DSM: Radikaler Paradigmenwechsel atheoretischer Ansatz: konsequente Ablehnung aller empirisch unzureichend gestützten ätiologischen Annahmen methodologische Neuerungen: => Verbesserung der Reliabilität auf allen Ebenen des diagnostischen Prozesses
DSM: Beurteiler-Reliabilität Beurteiler Reliabilität: als Voraussetzung für übergeordnetes Ziel der Diagnose-Validität (im Sinne des idealtypischen Krankheitsmodells) gewährleistet durch: 1. detailliert kommentierte und explizit ausformulierte Kriterien auf Symptom und Syndromebene 2. weitgehende Beschränkung auf zuverlässig (durch Fragen oder Beobachtung) erfasste Symptome 3. breitere Mehrebenencharakteristik des Störungsverhaltens hinsichtlich körperlicher, kognitiver, affektiver und verhaltensmäßiger Symptome (inkl. Zeit- und Schweregradskriterien) => alle relevanten Ausschlusskriterien ohne wesentlichen Interpreationsspielraum vorgegeben 4. multiaxiale Struktur, um vollständigere klinische Charakteristik sicherzustellen und zugleich Vermischung der Ebenen zu vermeiden
DSM-IV-TR 1. DSM in aktuell 4. Textrevision (DSM-IV-TR) beschreibt, definiert und klassifiziert in einem multiaxialen System mehrere hundert Formen psychischer Störungen 2. Stark deskriptivem Ansatz verpflichtet (=> Ablehnung von nicht hinreichend begründeten ätiologischen Theorien) 3. Enthält: differenzierte Beschreibung von Symptomen, explizite diagnostische Kriterien + Algorithmen, + Kurzcharakteristik der bestimmenden Merkmale, + Hintergrundinformationen 4. DSM in psychologischer und neurobiologischer Forschung dominantes Referenzsystem (liegt nahezu allen wissenschaftlichen Studien zugrunde) 5. Vielzahl diagnostischer Hilfen in Form von Interviews- und Beurteilungsverfahren verfügbar, die auf detaillierter algorithmischer DSM-Strukur beruhen 6. für den westlichen Kulturraum größere Spezifität und Passung als ICD-10
(5) Achsen des DSM-IV Achse I: Klinische Syndrome Achse II: Persönlichkeitsstörungen, Entwicklungsstörungen Achse III: körperlich bedingte Störungen und Zustände, Medizinische Krankheitsfaktoren Achse IV: psychosoziale Belastungsfaktoren Achse V: Globalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus
DSM-IV-TR: Achse I Klinische Störungen, andere klinisch relevante Probleme DSM-IV: Achse I Klinische Störungen, andere klinisch relevante Probleme 1. Störungen, die gewöhnlich zuerst im Kleinkindalter, der Kindheit oder Adoleszenz diagnostiziert (außer geistige Behinderung die auf Achse II codiert) 1. Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen 2. psychische Störungen aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors 3. Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen 4. Affektive Störungen 5. Angststörungen 6. Somatoforme Störungen 7. Vorgetäuschte Störungen 8. Dissoziative Störungen 9. Sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörungen 10. Essstörungen 11. Schlafstörungen 12. Störungen der Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert 13. Anpassungsstörungen 14. andere klinisch relevante Probleme
DSM-IV-TR: Achse II Persönlichkeitsstörungen, geistige Behinderung DSM-IV-TR: Achse II Persönlichkeitsstörungen, geistige Behinderung 1. Paranoide Persönlichkeitsstörung 2. Schizoide Persönlichkeitsstörung 3. Schizotypische Persönlichkeitsstörung 4. Antisoziale Persönlichkeitsstörung 5. Borderline Persönlichkeitsstörung 6. Hystrionische Persönlichkeitsstörung 7. Narzißtische Persönlichkeitsstörung 8. Vermeidend-Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung 9. Dependente Persönlichkeitsstörung 10. Zwanghafte Persönlichkeitsstörung 11. Nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung 12. geistige Behinderung
DSM-IV-TR: Achse III Medizinische Krankheitsfaktoren DSM-IV-TR: Achse III 1. infektiöse und parasitäre Erkrankungen 2. Neoplasmen 3. endokrine, allmentäre, metabolische Erkrankungen und Immunstörungen 4. Erkrankungen des Blutes und der blutbildenden Organe 5. Erkrankungen des Nervensystems und der Sinnesorgane 6. Erkrankungen des Kreislaufsystems 7. Atemwegserkrankungen 8. Erkrankungen des Verdauungssystems 9. Urogenitale Erkrankungen 10. Komplikationen in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett 11. Erkrankungen der Haut und des Subkutangewebes 12. Erkrankungen des Bewegungsapparates und Bindegewebes 13. angeborene Störungen 14. bestimmte Zustände, die in der perinatalen Phase ihren Ursprung haben 15. Symptome, Zeichen und unklar definierte Zustände 16. Verletzungen und Vergiftungen
DSM-IV-TR: Achse IV Psychosoziale und umweltbedingte Probleme DSM-IV-TR: Achse IV 1. Probleme mit der Hauptbezugsgruppe 2. Probleme im sozialen Umfeld 3. Ausbildungsprobleme 4. berufliche Probleme 5. Wohnungsprobleme 6. wirtschaftliche Probleme 7. Probleme beim Zugang zu Einrichtungen der Krankenversorgung 8. Probleme beim Umgang mit dem Rechtssystem/Delinquenz 9. andere psychosoziale oder umgebungsbedingte Probleme
GAF: 100-91 1. Hervorragende Leistungsfähigkeit in einem breiten Sprektrum von Aktivitäten 2. Schwierigkeiten im Leben scheinen nie außer Kontrolle zu geraten 3. wird von Anderen wegen einer Vielzahl positiver Qualitäten geschätzt 4. keine Symptome
GAF: 90-81 1. keine/nur minimale Symptome (bspw. leichte Angst vor einer Prüfung) 2. Gute Leistungsfähigkeit in allen Gebieten 3. Interessiert und eingebunden in ein breites Spektrum von Aktivitäten 4. Sozial effektiv im Verhalten 5. Im allgemeinen zufrieden mit dem Leben 6. übliche Alltagsprobleme oder sorgen (z.B. nur gelegentlicher Streit mit Familienmitglied)
GAF: 80-71 Wenn Symptome vorliegen entweder vorübergehend oder zu erwartende Reaktionen auf psychosoziale Belastungsfaktoren (z.B. Konzentrationsschwierigkeiten nach einem Familienstreit) höchstens leichte Beeinträchtigung sozialer, beruflicher und schulischer Leistungsfähigkeit (z.B zeitweises Zurückbleiben in der Schule)
GAF: 70-61 Einige leichte Symptome (z.B. depressive Stimmung/leichte Schlaflosigkeit) ODER einige leichte Schwierigkeiten hinsichtlich sozialer, beruflicher oder schulischer Leistungsfähigkeit (z.B. gelegentliches Schuleschwänzen oder Diebstahl im Haushalt) aber im allgemeinen relativ gute Leistungsfähigkeit Hat einige wichtige zwischenmenschliche Beziehungen
GAF: 60-51 mäßig ausgeprägte Symptome (z.B. Affektverflachung, weitschweifige Sprache, gelegentliche Panikattacken) ODER mäßig ausgeprägte Schwierigkeiten bezüglich der sozialen beruflichen oder schulischen Leistungsfähigkeit (z.B. wenige Freunde, Konflikte mit Arbeitskollegen, Schulkameraden oder Bezugspersonen)
GAF: 50-41 erste Symptome (bspw. Suizidgedanken, schwere Zwangsrituale, häufige Ladendiebstähle) ODER erste Beeinträchtigung sozialer, beruflicher und schulischer Leistungsfähigkeit (z.B. keine Freunde, Unfähigkeit eine Arbeitsstelle zu behalten)
GAF: 40-31 einige Beeinträchtigungen in der Realitätskontrolle oder Kommunikation (z.B.. Sprache zeitweise unlogisch, unverständlich oder belanglos) ODER starke Beeinträchtigung in mehreren Bereichen, z.B. Arbeit oder Schule, familiäre Beziehungen, Urteilsvermögen, Denken oder Stimmung (z.B.. Mann mit Depression vermeidet Freunde, vernachlässigt Familie und ist unfähig zu arbeiten / Kind schlägt häufig jüngere Kinder, ist Zuhause trotzig und versagt in der Schule)
GAF: 30-21 Verhalten ernsthaft durch Wahnphänomene oder Halluziantionen beeinflußt ODER ernsthafte Beeinträchtigung der Kommunikation und des Urteilsvermögens (z.B. manchmal inkohärent, handelt grob inadäquat, starkes Eingenommensein von Selbstmordgedanken) ODER Leistungsunfähigkeit in fast allen Bereichen (z.B. bleibt ganzen Tag im Bett, keine Arbeit, kein Zuhause, keine Freunde)
GAF: 20-11 Selbst- und Fremdgefährdung (z.B. Selbstmordversuche ohne eindeutige Todesabsicht, häufig gewalttätig, manische Erregung) ODER ist gelegentlich nicht in der Lage geringste persönliche Hygiene aufrechtzuerhalten (z.B. schmiert mit Kot) 3. ODER grobe Beeinträchtigung der Kommunikation (größtenteils inkohärent oder stumm)
GAF: 10-1 Ständige Gefahr, sich oder andere schwer zu verletzen (z.B wiederholte Gewaltanwendung) ODER anhaltende Unfähigkeit minimale persönliche Hygiene aufrechtzuerhalten ODER ernsthafter Selbstmordversuch mit eindeutiger Todesabsicht
GAF: 0 Unzureichende Information
Skala zur Globalen Erfassung des Funktionsniveaus (GAF), inhaltlich 1. integrierte Gesamtbeurteilung des allgemeinen Funktionsniveuas des Patienten 2. hilfreich für Therapieplanung, Messung von Wirksamkeit und Prognosestellung 3. Beurteilung anhand einer in 10 Funktionsniveaustufen unterteilten Skala 0-100 4. Festlegung eines einzelnen Wertes, der allgemeines Funktionsniveau am treffendsten wiedergibt 5. in der Regel auf aktuellen Zeitraum bezogen (für Bedarf an Behandlung und Fürsorge relevant)
inhaltliche Besonderheiten des DSM-IV-TR: Längsschnittliche Perspektive Ableitung einer Diagnose in der Regel unter Berücksichtigung der gesamten Lebensspanne lebenszeitbezogene Kriterien nicht nur bei episodischen Erkrankungen (affektiven Störungen), sondern auch bei Angststörungen wichtig
Inhaltliche Besonderheiten des DSM-IV-TR: Komorbidität Alle im Lebenslauf relevanten Störungen werden kodiert (Mehrfachdiagnosen = Komorbidität) nicht selten erhält ein Patient 5 oder 6 Diagnosen Komorbidität = Charakteristikum psychischer Störungen => wichtige Implikationen für Aufklärung der Ätiologie und Pathogenese sowie für die Therapieplanung
inhaltliche Besonderheiten des DSM-IV-TR: Auflösung des Neurosekonzepts wegen: unreliabler Diagnostik, Stigmatisierungseffekten sowie empirisch unbewiesener ätiologischer Implikationen (früher "Angstneurose" jetzt spezifische Panikstörung oder generalisierte Angststörung, "depressive Neurose" => Major Depression oder Dysthymie)
inhaltliche Besonderheiten des DSM-IV-TR 1. Längsschnittliche Perspektive 2. Komorbidität 3. Auflösung des Neurosekonzepts
die diagnostische Gesamtbeurteilung diagnostische Gesamtbeurteilung: 1. konsequente Anwendung des multiaxialen Klassifikationssystems => fallbezogene diagnostische Beurteilung 2. wesentlich umfassender und differenzierter als bloße diagnostische Verschlüsselung psychopathologischer Syndrome 3. Vergabe aller vorliegender Diagnosen, deren Kriterien erfüllt sind => Komplexität des Störungsgeschehens auch im Verlauf besser abgebildet 4. durch multiaxiale Ergänzungen wird Diagnose weiter ausdifferenziert
Dimensionen und Kriterien der Diagnose nach Helmchen, 1975 1. Symptomatologie: 1.1 Art der Symptome 1.2 Konfiguration von Symptomgruppen, Syndrome 2. Zeit (Verlauf): 2.1 Erkrankungsalter 2.2 Tempo des Ersterkrankungsbeginns (Aktualität) 2.3 Verlauf (intermittierend, chronisch) 2.4 Dauer 2.5 Ausgang 3. Ätiologie 3.1 Disposition (genetisch, Persönlichkeitsstruktur) 3.2 Auslösung (psychoreaktiv, somatisch, therapeutisch) 3.3 Verhaltensbeeinflussung (morbogen, psychoreaktiv, sozial, therapeutisch) 4. Intensität: die meisten Kriterien auf Dimensionen 1-3 5. Sicherheit: 5.1 jedes Kriterium auf Dimensionen 1-3 5.2 verbale Diagnose 5.3 kodierte Diagnose
Anzahl: Diagnosen psychischer Störungen (ungefähr) über 500
Neuerungen DSM-5 1. non axiale Diagnosedokumentation, seperaten Notationen für wichtige psychosoziale/kontextuelle Faktoren und Beeinträchtigungen 2. "Grenzen" zwischen einzelnen Störungen flexibilisiert => Spektrumsdiagnosen 3. Section II: offizielle Kriterien und Störungen mit allgemein akzeptierter klinischer Anwendbarkeit 4. Section III: Zustände, die weiterer Forschung bedürfen 5. Harmonisierung der Klassifikationssysteme (ICD & DSM) 6. eher dimensionaler Ansatz 6. Anzahl der Diagnosen teilweise reduziert, manche gänzlich gestrichen (z.B. Schizophrenie-Subtypen: paranoid, kataton etc.) 7. Aufnahme neuer psychischer Störungen (z. b. Binge Eating Disorder) 8. Umstrukturierung des Textes: benutzerfreundlicher, Diagnosen einheitlich strukturiert, Reihenfolge und Gruppierung von Diagnosen teilweise umgestaltet, Persönlichkeitsstörungen nicht mehr in separater Achse 9. Schweregradeinstufung der Diagnosen: "mild"-"mittel"-"schwer" (für jede Diagnose in einem Subkapitel angegeben, wie dimensionale Angaben über Ausprägungsgrad der psychopathologischen Symptome gemacht werden können)
Achse I: Psychische Störungen und körperliche Erkrankungen Ia: psychische Störungen Ib: Persönlichkeitsstörungen Ic: Störungen durch psychotrope Substanzen Id: körperliche Störungen
Achse II: Beurteilung der sozialen Funktionseinschränkung (WHO Disablement Scale) IIa: Selbstfürsorge (Körperhygiene, Kleidung, Ernährung usw.) IIb: Beruf (bezahlte Arbeit Studium, Hausarbeit usw.) IIc: Familie und Haushalt (Interaktion mit dem Partner, Eltern, Kindern und anderen Verwandten) IId: Funktionsfähigkeit im weiteren sozialen Kontext IIe: Globaleinschätzung (Gesamtbeeinträchtigung)
Achse III: Psychosoziale Belastungsfaktoren Ereignisse und Merkmale aus folgenden Bereichen: 1. Negative Erlebnisse in der Kindheit 2. Erziehung und Bildung 3. Primäre Bezugsgruppe einschließlich Familie 4. Soziale Umgebung 5. Wohnungsbedingungen und finanzielle Verhältnisse 6. Berufstätigkeit und Arbeitslosigkeit 7. Umweltbelastung 8. Psychosoziale oder juristische Probleme 9. Krankheiten oder Behinderungen in der Familie 10. Lebensführung/Lebensbewältigung
Achsen des DSM-IV: inhaltlich 1. multiaxiales System ermutigt Diagnostiker zu umfassender und systematischer Beurteilung: ... verschiedener psychischer Stöungen (Achse I & II) ... relevanter medizinischer Krankheitsfaktoren (Achse III) ... der psychologischen, sozialen und umweltbezogenen Manifestationsebenen psychischer Störungen (Achse IV [und V?]) 2. fördert Anwendung des biopsychosozialen Modells in der klinischen VErsorgung sowie in Ausbildung und Forschung
Achsen des DSM-IV: Achse III, inhaltlich 1. alle aktuellen Medizinischen Krankheitsfaktoren, die für psychische Störung relevant 2. eigenständige Konzipierung dieser Achsen bedeutet nicht, dass psychische Störungen keinen Zusammenhang zu körperlichen oder biologischen Faktoren aufweisen 3. wenn psychische Störung als direkte Folge eines Medizinischen Krankheitsfaktors => Diagnose "psychische Störung aufgrund MKF" auf Achse I und MKF selbst sowohl auf Achse I als auch auf Achse III kodiert ... mit dieser Regel konservativ umzugehen!
Achsen des DSM-IV: Achse IV, inhaltlich 1. Erfassung psychologischer, sozialer und umgebungsbedingter Probleme, welche Diagnose, Therapie und Prognose einer psychischen Störung beeinflussen können (z.B. negative Lebensereignisse, umgebungsbedingte Schwierigkeiten oder Mängel, familiäre oder zwischenmenschliche Belastungen, unzulängliche soziale Unterstützung, Probleme in Bezug auf den Kontext, in dem sich Schwierigkeiten des Betroffenen entwickelt haben, etc.) 2. alle relevanten Problemkategorien sollen aufgeführt werden 3. Zeitbeurteilungsfenster: vergangene 12 Monate als Richtschnur (Ausnahme z.B. traumatische Ereignisse bei einer posttraumatischen Belastungsstörung)
Symtomatologiedimension und Kriterien nach Helmchen, 1975 Symptomatologie: 1. Art der Symptome 1. Konfiguration von Symptomgruppen, Syndrome
Zeit- bzw Verlaufsdimension und Kriterien nach Helmchen, 1975 Zeit (Verlauf): 1. Erkrankungsalter 2. Tempo des Ersterkrankungsbeginns (Aktualität) 3. Verlauf (intermittierend, chronisch) 4. Dauer 5. Ausgang
Ätiologiedimension und Kriterien nach Helmchen, 1975 Ätiologie 1. Disposition (genetisch, Persönlichkeitsstruktur) 2. Auslösung (psychoreaktiv, somatisch, therapeutisch) 3. Verhaltensbeeinflussung (morbogen, psychoreaktiv, sozial, therapeutisch)
Intensitätdimension und Kriterien nach Helmchen, 1975 Intensität: die meisten Kriterien auf Dimensionen 1-3
Sicherheitdimension und Kriterien nach Helmchen, 1975 Sicherheit: 1. jedes Kriterium auf Dimensionen 1-3 2. verbale Diagnose 3. kodierte Diagnose
Differentialdiagnostik: Beispiele für Hilfmittel DSM-IV Entscheidungsbäume DIA-X/M-CIDI ("Composite International Diagnostic Interview" - PC-gestützt) DIPS ("Diagnostisches Interview Psychischer Störungen - paper-and-pencil-geleitetes Interview)
DSM-5 Neuerungen: Beispiele 1. Autism Spectrum Disorder: vier ehemalige Einzeldiagnosen, die nach wissenschaftlichem Konsensus einen Zustand mit verschiedenen Schweregraden in zwei Kernbereichen darstellen (darunter Autismus und Asperger-Syndrom) 2. Abschaffung des Trauer-Ausschlusskriteriums bei Major depressive Disorder (MDD) 3. Angststörungen: Vereinfachung der Diagnosen "Panikstörung mit/ohne Agoraphobie" sowie "Agoraphobie ohne Panikstörung" => nur noch "Panikstörung" oder "Agoraphobie" 4. Somatoforme Störungen heißen nun "Somatic Symptom and Related Disorders": Diagnosen "Hypochondrie", "Schmerzstörung", "Somatisierungsstörung" gestrichen "Somatization Disorder" + "Undifferentiated Somatoform Disorder" verschmelzen zu "Somatic Symptom Disorder) 5. Illness Anxiety Disorder
Kritik am DSM-5 1. Krankheitskonzepte sollten nur ausgeweitet werden, wann dadurch klinisch relevantes Leiden besser als bisher erkannt werden kann: Zahl der Diagnosen nicht einfach durch neue, leichtere Störungen erhöhen! 2. Trauer als Krankheit: > 2 Wochen andauernde Trauer kann einer Depression zugeordnet werden => Pathologisierung (ignoriert meist natürliches Nachlassen der Trauerempfindung und erhaltene Fähigkeit zur Selbstregulation) 3. Alkoholkonsum kulturabhängig als Krankheit: wiederholtes Bedürfnis Alkohol in einem Land zu konsumieren, wo dies verboten ist Kriterien: "soziale Probleme" und "hoher Zeitaufwand für Beschaffung" erfüllt)
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